Veranstaltungen 2013

Familienkonstellationen

Ort: Literaturhaus

Moderation: Martin Sexl

Raoul Schrott und die Innsbruck liest-Autorin Margit Schreiner im Gespräch.


Sowohl Margit Schreiner als auch Raoul Schrott beschäftigen sich in ihren Büchern mit Familienbeziehungen und –konstellationen. Während Margit Schreiner in ihrem Buch „Die Tiere von Paris“ aus weiblicher Sicht die Berufstätigkeit als Alleinerzieherin sowie die Mutter-Tochter-Beziehung in den Mittelpunkt stellt, nimmt Raoul Schrott in „Das schweigende Kind“ die männliche Perspektive ein, jene eines Vaters, dem die Entwicklung einer Beziehung zum eigenen Kind verwehrt wird. Beide bringen zusätzliche Ebenen ins Spiel: Margit Schreiners Roman, der an unterschiedlichen Schauplätzen wie Paris, Tokio, Wien und Italien angesiedelt ist, streift ein weites Panorama unterschiedlicher Lebensentwürfe; Raoul Schrott kombiniert die Thematik mit jener eines Künstlers in der Krise.

Schreiner und Schrott schildern die Thematik von Mutter-Vater- und Kindbeziehungen aus unterschiedlichen, beinahe konträren Standpunkten. Die Leseerfahrungen von Margit Schreiner und Raoul Schrott mit dem jeweils anderen Buch können spannende Impulse zum Gespräch geben.

Darüber hinaus soll diskutiert werden, welche erweiterten und erweiternden Zugänge jenseits einer identifikatorischen und therapeutischen Lektüre durch die Einbettung der Thematik in weitere Kontexte ermöglicht werden und inwieweit formal und stilistisch Klischees und Vorurteile sowie Schuldzuweisungen und Schwarz-Weiß-Denken aufgebrochen werden können.

Raoul Schrott und Margit Schreiner

Ort: Literaturhaus

In seinem Roman Das schweigende Kind greift Raoul Schrott das kontroversiell diskutierte Thema des Kampfes von Vätern um ihre Kinder auf. Ein Mann sitzt in einem Sanatorium an der Grenze der Schweiz. Er erzählt seiner Tochter die Umstände, die zum Tod ihrer Mutter führten. Immer tiefer in seine Vergangenheit eintauchend, zeichnet er Seite für Seite ein Mosaik seines Lebens auf: seine Karrie-re als Maler, der Auftrag, einen Katalog von Sternbildern zu erstellen, die Zerrüttungen bei der Geburt der Tochter. Raoul Schrotts dichte Erzählung über Gewalt, die Liebe zu einem Kind, Paradiese und Sünde ist ein erschütterndes Zeugnis, das die Geschichte eines großen Verlusts unter vielen Blickwinkeln nachzieht.

Bei Margit Schreiners Roman Die Tiere von Paris handelt es sich um die Geschichte einer alleinerziehenden Mutter, die sich nicht nur mit der Bewältigung des unmittelbaren Alltags abzumühen hat, sondern auch mit ihrer zerbrochenen Beziehung zum Vater des Kindes und, vor allem, mit dem Vater selbst. Das Thema des Buches – Patchworkfamilien und unterschiedlichste Partnerschaftsmodelle – ist hochaktuell und war ein Grund für die Wahl des Buches. Ausgewählt wurde das Buch auch deshalb, weil dessen Aktualität nicht sosehr mit schnell verwertbaren Hypes urbaner Gesellschaften zu tun hat, sondern mit den alltäglichen und problemtischen Fragen zwischenmenschlichen Zusammenlebens, die immer wieder neu gestellt werden müssen, was – und auch hier beweist das Buch seine Qualität in der Schilderung – mit der Notwendigkeit einhergeht, alternative Formen von Abschied, Trennung und Erinnerungsarbeit zu entwickeln. (Auszug aus der Begründung der Juryentscheidung durch den wissenschaftlichen Leiter Univ.-Prof. Dr. Martin Sexl)

Zakhar Prilepin und Erich Klein

Ort: Literaturhaus

Moderation: Andrea Zink

Mit Sankya knüpft Zakhar Prilepin an den sozialrealistischen Roman Mutter von Maxim Gorki an und kritisiert bestehende Verhältnisse und zeigt drastisch die Dynamik der politischen Radikalisierung und die fatalen Folgen von Gewalt. Sankya, der jugendliche Held der Geschichte von Revolte, Liebe und Verrat, ist Mitglied einer militanten regimekritischen Gruppierung. Nach heftigen Krawallen in Moskau ist ihm die Sicherheitspolizei auf der Spur. Er flieht aufs Land und lebt vom spärlichen Gehalt der Mutter, die unter schlechtesten Bedingungen in einer Fabrik arbeitet und dem Leben ihres Sohnes völlig verständnislos gegenübersteht. Bald glaubt Sankya sich sicher und nimmt wieder Kontakt mit seiner Freundin auf – doch er gerät in einen Hinterhalt und wird verhaftet. Im Gefängnis wird er Opfer von Folter und Erniedrigung. Was Spiel war, ist plötzlich blutiger Ernst.

Zakhar Prilepin: Sankya. Roman. Aus dem Russischen von Susanne Macht und Erich Klein. Matthes und Seitz 2012

* In dieser neuen Veranstaltungsreihe legen wir den Fokus auf Literatursysteme in anderen Ländern und Kulturkreisen: Der Blick auf ein anderes literarisches System revidiert die Sicht auf die Situation im eigenen Land. Expertinnen und Experten und fremdsprachige Autorinnen und Autoren berichten in dieser Reihe über die Literaturbetriebe anderer Länder.

Iris Hanika und Gustav Ernst

Ort: Literaturhaus

Moderation: Robert Renk

Tanzen auf Beton trägt den Untertitel Weiterer Bericht von der unendlichen Analyse. Die Autorin Iris Hanika führt auf ihrer Homepage aus: „der Lebensroman. Zugleich Essay, Bericht, Feuilleton und Chronik. Es kommen Led Zeppelin und Muddy Waters vor, aber auch Schostakowitsch und der Berghain, es spielt in Berlin, aber auch in Shanghai, Paris, Mainz, Frankfurt und Tel Aviv. Es geht um Musik, die Unerträglichkeit der Gegenwart und um die Liebe (sowieso). Besser: es geht darum, endlich zu begreifen, warum die Liebesversuche fortwährend scheiterten. Begriffen wird das nach dem Scheitern des letzten Liebesverhältnisses. Das war besonders bizarr. Es war aber offenbar nötig, um endlich das Grundproblem zu begreifen, die Struktur. Das Mittel zum Begreifen ist die Psychoanalyse, die unendlich fortgeführt wird (und die Zeit zum Begreifen ist das ganze Leben). Als Hilfsmittel erweisen sich die Liebe zu Russland und zu Heavy Metal. Es ist ein wüstes Buch geworden.Gerade so eins, wie ich’s mir immer erträumte.“ Ein spannendes, lesenswertes Unterfangen, wie wir meinen.


Von den glücklichen und weniger glücklichen Tagen einer Familie erzählt Gustav Ernsts Roman Grundlsee: Jedes Jahr verbringen John, Bella und Lili wohlbehütet einen schönen Sommer mit ihren Eltern am Grundlsee. An der Tagesordnung stehen die üblichen Quengeleien und liebevollen Querelen. Noch weiß keiner von ihnen, welche Herausforderungen das Leben für sie bereithält – doch holen sie diese schneller und heftiger ein, als sie ahnen können. Gustav Ernst erzählt eine Familiengeschichte über drei Generationen hinweg. Mit feinem Sensorium für das Zwischenmenschliche macht er die Bestimmungslinien und Unwägbarkeiten einer Familie sichtbar und zeigt, was passiert, wenn eintritt, womit jeder rechnen muss: mit dem Fortschreiten der Zeit, ihrer Gelassenheit, ihrer Unerbittlichkeit – unschlagbar lakonisch wie das Leben selbst.

Iris Hanika: Tanzen auf Beton. Roman. Droschl 2012

Gustav Ernst: Grundlsee. Roman. Haymon 2013

Andrea Winkler

Ort: Literaturhaus

Lina ist überglücklich: Sie wurde am „Institut für Gedankenkunde und Verstehen“ aufgenommen. Und wird so ihrem Wunsch einen Schritt näherkommen, das eigene Denken und Verstehen immer zarter und feiner werden zu lassen. Glaubt sie. Doch in Andrea Winklers Roman ist nichts, wie es scheint: Am Institut geht es offenbar um etwas ganz anderes als um Bildung. Die Sätze der Lehrenden sind voller Widersprüche, voller Ängste, und diejenigen, welche die Macht haben zu sprechen, wissen nicht, was sie sagen.


Andrea Winkler: König, Hofnarr und Volk. Einbildungsroman. Zsolnay 2013

Andrea Winkler — „Ich weiß, wo ich bin.“ Poetik-Vorlesung

Ort: Literaturhaus

„(...) Wir können das alles – auch Worte verwenden, die keine Wirklichkeit geben, sondern Wirklichkeit nehmen, und ein Mensch werden, der nicht einmal bemerkt, dass er keine Verbindung zu seiner Geschichte hat und dem alles fehlt, was er zu verlieren, was er abzustreifen wünschen könnte. Leider können wir das. Aber wir könnten auch etwas anderes, zum Beispiel irgendwann durch die Nacht streifen und einem andern begegnen, der uns eine Frage stellt oder dem wir eine Frage stellen, je nachdem, und eine Geschichte erzählen, die „mich“ rechtfertigt, in dem Sinn, dass sie eine Wunde, ja, „meine“ Verwundbarkeit berührt. Auch das ist möglich – so wie es möglich ist, aus der Vorstellung Wirklichkeit zu gewinnen, eine tiefere Wirklichkeit, als wir haben.“

Wieso schreiben sie? Nicht in muttersprache …“ Autobiographisches Schreiben und Sprachwechsel

Ort: Literaturhaus

Moderation: Eva Binder

Dragica Rajčić und Birgit Mertz-Baumgartner im Gespräch.


„Nicht in muttersprache“ dieses Zitat von Dragica Rajcˇi verdeutlicht schon die Fragen dieses Montagsfrühstücks: Welche Rolle spielen autobiographisches Schreiben und Sprachwechsel im Kontext der Migrationsliteratur? Welche sprachlichen und literarischen Ausdrucksweisen ergeben sich daraus? Unter welchen Gesichtspunkten wird „Migrationsliteratur“ in Österreich poetologisch eingeordnet? Wird ein Unterschied gemacht zwischen den Texten von Autoren und von Autorinnen? Spielt das jeweilige Herkunftsland eine Rolle? Diese und andere Fragen diskutieren die Schriftstellerin Dragica Rajcˇic´ und die Literaturwissenschaftlerin Birgit Merz-Baumgartner (gemeinsam mit Eva Binder Herausgeberin von Migrationsliteraturen in Europa, iup 2012).

Zdenka Becker

Ort: Literaturhaus

Moderation: Teresa Krug, Lisa Astl

„Schreib einmal etwas über einen echten Kriminalfall. Ich werde dir dabei helfen“, meint Oberleutnant Mudroch zu seiner Tochter. Die Schriftstellerin kümmert sich jeden Samstag um ihren 90-jährigen, an den Rollstuhl gefesselten Vater, der ihr Woche um Woche ein bisschen mehr von seinem größten Fall erzählt. Als junges Mädchen fand Lara bereits die Akten ihres Vaters zum grausamen Mordfall, doch damals erschlossen sich ihr die Hintergründe zum Verbrechen nicht in ihrer Gesamtheit. Erst jetzt, da ihr die Geschichte aus erster Hand erzählt wird, wird sie wieder in den Sog der vergangenen Ereignisse hineingezogen und entdeckt dabei Parallelen zu ihrem eigenen Leben. „Dieses subtile Ringen einer Tochter um ihren Vater, und umgekehrt, gehört zum Packendsten, was ich bisher von Zdenka Becker gelesen habe.“ (Margit Schreiner)

Zdenka Becker: Der größte Fall meines Vaters. Roman. Deuticke 2013

 

Alissa Walser über Sylvia Plath

Ort: Literaturhaus

Sylvia Plath, 1932 in Jamaica Plain bei Boston geboren, gestorben 1963 im einunddreißigsten Lebensjahr in London, übersetzte ihre Erfahrung in symbolische Bilder und hochkonzentriert erzählende Tableaus. Nun, fünfzig Jahre nach ihrem Freitod, ist es möglich, ihre letzten Gedichte, die Ariel-Gedichte, und den prägnantesten ihrer Prosatexte, Die Glasglocke, mit ihren Tagebuch-Texten zu konfrontieren, ihren nicht im Willen zum literarischen Text aufgehobenen Ambitionen, Träumen, Ängsten und Hoffnungen zu folgen.

Marina Koreneva

Ort: Literaturhaus

Moderation: Christine Engel

Auftaktveranstaltung mit Marina Koreneva aus Sankt Petersburg

Über Einladung der Philologisch-Kulturwissenschaftlichen Fakultät kommen jedes Jahr herausragende Literaturschaffende als „Writer in Residence“ nach Innsbruck und lassen die Verbindung zwischen Literatur und Literaturwissenschaft lebendig werden. Mit Marina Koreneva eröffnen sich Einblicke in zusätzliche Tätigkeitsfelder: Sie ist Drehbuchautorin, literarische Übersetzerin, Literaturwissenschaftlerin und, wie sie selbst zu sagen pflegt, interkulturelle Vermittlerin zwischen Österreich, Deutschland und Russland.