Veranstaltungen 2012

Ein neues Kapitel in der russischen Literaturgeschichte

Ort: Literaturhaus

Moderation: Christine Engel

Lesung: Birgit Melcher und Christian Opperer

Der Abend steht unter dem Motto: „Was gibt es Neues über die russische Literatur zu berichten?“ Soeben ist eine aktualisierte und erweiterte Neuauflage der Russischen Literaturgeschichte im Metzler-Verlag erschienen, zu der Christine Engel ein Kapitel hinzugefügt hat, in dem sie signifikante Entwicklungslinien der vergangenen zwei Jahrzehnte herausarbeitet. In ihrem Vortrag stellt sie Gedanken zu diesem Prozess des „Herausschälens“ an und greift einige bemerkenswerte literarische Tendenzen heraus. Kostproben von Texten verschiedener Autorinnen und Autoren werden von Birgit Melcher und Christian Opperer gelesen.

Christine Engel, Professorin (i.R.) am Institut für Slawistik der Universität Innsbruck, hat ihre Forschungsschwerpunkte in der neueren russischen Literatur, Kultur und im Film. Ein ausführliches Literaturverzeichnis finden Sie unter slawistik.uibk.ac.at.

Russische Literaturgeschichte, unter Mitarbeit von Christine Engel, Andreas Guski, Wolfgang Kissel, Joachim Klein und Wolf-Heinrich Schmidt sowie Dirk Uffelmann (Redaktion), herausgegeben von Klaus Städtke. 2., aktualisierte und erweiterte Auflage. Mit 205 Abbildungen. Stuttgart, Weimar: Metzler 2011.

Siegfried Höllrigl: Die Offizin S. Meran – Werkstatt für Literatur, Typographie und Graphik

Ort: aut. architektur und tirol Lois-Welzenbacherplatz1

Diese Veranstaltung der weis raum -Reihe schöne bücher entsteht in Zusammenarbeit mit dem Literaturhaus am Inn und bietet die Gelegenheit, eine weitum einzigartige Form von Gestaltungsarbeit näher kennenzulernen. Ein locker gehaltener Abend mit vielen Arbeitsproben, Siegfried Höllrigl wird zudem kurze Ausschnitte aus den Aufzeichnungen seiner Wanderung nach Istanbul lesen.

Es gibt Orte, die, obwohl aus der Zeit gefallen, eigentlich ganz in der Zeit sind. Die kleine Druckerwerkstätte von Siegfried Höllrigl in Meran ist so einer. Nur unweit von den geschäftigen Einkaufsstraßen der Kurstadt gelegen, mittendrin und dennoch abseits, eröffnet sich eine vergangene Welt: kein Computer, kein kreatives Hyperventilieren, kein Design, kein Lifestyle. Dafür Ruhe, tausenderlei Zeugs, der Geruch nach Druckfarbe und Papier und dann und wann das laute Rattern einer Druckmaschine. Irgendwo dazwischen Siegfried Höllrigl, der Begründer der Offizin S. – Werkstatt für Literatur, Typographie und Graphik.

Hier kann man erleben, wie nahe sich Buchkunst und Literatur kommen können. Was natürlich auch mit Siegfried Höllrigl zu tun hat: Er ist Mitbegründer der Südtiroler Autorenvereinigung und selbst Schriftsteller. 2011 erschien sein Reisebericht Was weiß der Reiter vom Gehen (edition laurin), Tagesnotizen einer Wanderung von Basel nach Istanbul. Mit derselben Beharrlichkeit, die es zu solch einem Marsch braucht, betreibt Höllrigl auch seine Buchdruckerkunst. Höllrigls Arbeit ist Beleg nicht nur einer bestimmten Buchgestaltung, sondern auch einer bestimmten literarischen Kultur, der es zuallererst um die Literatur selbst und die Schönheit gestalteter Texte geht. Jedes der Bücher, Plakate und dann und wann in kleinen oder Kleinstauflagen hergestellten Akzidenzien in der Werkstätte von Siegfried Höllrigl stellt etwas Besonderes dar, zu allem gibt es Anekdoten, Geschichten und Erinnerungen. Kein Wunder, dass seine Arbeit hohe Anerkennung im Kreis bibliophiler Literatinnen und Literaten genießt – unter ihnen Klaus Merz, Friederike Mayröcker, Sarah Kirsch oder Peter Handke.

Siegfried Höllrigl, geboren 1943 in Meran, nach einer Schriftsetzerlehre Maschinensetzer und Korrektor, Reifeprüfung am Kunstlyzeum in Verona. 1968 Gründung eines Forums für Berufliche Weiterbildung, des Typographen Clubs Südtirol. 1985 Einrichtung einer eigenen Werkstatt in Bozen, seit 1987 angesiedelt in Meran.

Sepp Mall und Andreas Neeser

Ort: Literaturhaus

Moderation: Dorothea Zanon

Ein Sohn begibt sich nach dem Tod seines Vaters auf dessen Spuren nach Berlin. Dort nämlich hatte sein Vater als junger Soldat während des Zweiten Weltkriegs eine Liebesbeziehung zu einer Frau, von der niemand in der Familie wusste. Tatsächlich gelingt es ihm, die Frau ausfindig zu machen. Er trifft sie – und kommt seinem Vater näher als je zuvor. Berührend und einfühlsam beschreibt Sepp Mall eine Liebe, die den Tod überwindet, und eine Familiengeschichte zwischen Südtirol und dem Berlin von damals und heute. Er nimmt den Lesenden mit auf eine Reise in die innere Welt einer Figur, die sich hartnäckig dagegen wehrt, dass der Tod eines Menschen eine Auslöschung bedeutet.

Isabelles Leben verläuft in geordneten Bahnen. Ihre Ehe mit Simon ist solide, ihr Job abwechslungsreich, und auch der Traum vom eigenen Haus mit Kinderschaukel scheint bald Wirklichkeit zu werden. Da begegnet ihr am Bahnsteig ein gutaussehender Mann mit graumelierten Schläfen. Sie ist fasziniert von seinen leidenschaftlichen Avancen und bemerkt zu spät, dass sie sich auf einen obsessiven Erotomanen eingelassen hat. Nach dem viel beachteten Erzählband Unsicherer Grund legt Andreas Neeser einen packenden Roman vor: Mit beeindruckender Tiefenschärfe schildert er den Weg einer jungen Frau auf dem schmalen Grat zwischen Selbstverlust und Autonomie, Angst und Zuversicht.

Sepp Mall: Berliner Zimmer. Roman. Haymon 2012

Andreas Neeser: Fliegen bis es schneit. Roman. Haymon 2012

Thomas Stangl

Ort: Literaturhaus

Moderation: Joe Rabl

Reisen und Gespenster ist eine Sammlung mit meisterhaften Essays und Reiseberichten, angefangen mit einer der ersten Veröffentlichungen Thomas Stangls, einem Bericht über eine Reise nach Nordwestmexiko auf den Spuren von Antonin Artaud, bis zu unveröffentlichten semifiktionalen Tagebucheintragungen.

Thomas Stangl, Erich-Fried Preisträger von 2011, gibt Einblick in seine Werkstatt und gleichzeitig Auskunft über die Literatur. Landschaften, Filme und Bilder, Songs und Bücher: Es geht um Ausnahmezustände wie Reisen oder Krankheit, für die der Halbwachzustand des Geistes, das Wegdriften und gleichzeitig das Sich der Aufmerksamkeit Öffnen bestimmend sind und die auch in den zentralen Passagen seiner Romane zu finden sind.

Thomas Stangl: Reisen und Gespenster. Literaturverlag Droschl 2012

Carolina Schutti

Ort: Literaturhaus

Moderation: Gabi Wild

Komposition/Sampling/Ton: Ralph Schutti
Violoncello: Anita Knoll

Ein schattiges Dorf und eine Tante, die nicht über die Vergangenheit spricht: In diese Welt wird Maja von einem Tag auf den anderen geworfen. Mit dem frühen Tod ihrer weißrussischen Mutter geht ihre Sprache verloren, sie versteht die Tante nicht, die von nun an für sie sorgt. In dem abgelegenen Haus gibt es nicht viel Abwechslung für das in sich gekehrte Mädchen. Einzig Marek, ein ehemaliger polnischer Zwangsarbeiter, vermag Maja ein Gefühl von Geborgenheit zu vermitteln. Der Klang seiner Muttersprache weckt in ihr eine Erinnerung an die eigenen vergessenen Wurzeln, an die verlorene Sprache ihrer frühesten Kindheit. Als Heranwachsende versucht sie, an der Seite ihrer Freundin ihrer inneren Heimatlosigkeit zu entkommen und verlässt schließlich mit deren Bruder das Dorf, um in der Stadt ein neues Leben zu beginnen. Doch Sprachlosigkeit und unausgesprochene Geheimnisse lassen sie auch dort nicht los. Sie beschließt, das Schweigen hinter sich zu lassen und begibt sich auf die Suche nach ihrer verlorenen Herkunft.

Carolina Schutti: Einmal muss ich über weiches Gras gelaufen sein. Roman. Otto Müller Verlag 2012

Migrationsliteratur: ein kontroversieller Begriff?

Ort: Literaturhaus

Moderation: Anna Rottensteiner

Julya Rabinowich und Eva Hausbacher im Gespräch

Der Begriff „Migrationsliteratur“ hat sich mittlerweile im Literaturbetrieb und im literaturwissenschaftlichen Diskurs verankert. Zunächst ein Nischenphänomen in der Literaturlandschaft, haben als „Migrationsautorinnen und -autoren“ wahrgenommene Schriftstellerinnen und Schriftsteller über drei Generationen ihren Weg in die deutschsprachige Kulturproduktion gefunden. Zuschreibungen wie Ausländerliteratur, Gast-, Immigranten-, Emigrations-, Minderheitenliteratur, Literatur ohne Grenzen, Literatur ohne festen Wohnsitz zeugen von den Anstrengungen, Benennungsversuche und Kategorien zu finden. Doch inwiefern sind diese Begriffe bzw. ist der Begriff „Migrationsliteratur“ für die literarische Produktion eines Autors oder einer Autorin mit Migrationshintergrund wirklich bezeichnend? Sind diese Zuordnungsversuche als Bestandteil der Identität des Schreibenden wahrzunehmen oder als wissenschaftliche Kategorisierung? Kann der Begriff „Migrationsliteratur“ zu einem erweiterten Verständnis der deutschsprachigen Literatur und Kultur beitragen oder ist er ganz im Gegenteil einengend und diskriminierend?

Darüber diskutieren die Autorin Julya Rabinowich und die Slawistin Eva Hausbacher.

Eva Hausbacher, geboren 1967 in Schwarzach, Ao.Univ.-Prof. am Institut für Slawistik an der Universität Salzburg, Forschungsschwerpunkte: Zeitgenössische russische Literatur, Russische Frauenliteratur (19. und 20. Jahrhundert), Literatur- und Kulturtheorie, Gender Studies und Postcolonial Studies, Inter- und Transkulturalitätsforschung.

Julya Rabinowich

Ort: Literaturhaus

Moderation: Anna Rottensteiner

Julya Rabinowich debütierte 2008 mit ihrem Roman Spaltkopf, der in der edition exil erschien und für den sie den Rauriser Literaturpreis erhielt. Davor war sie bereits als Dramatikerin tätig.

Paul Jandl schreibt in seiner Rezension (NZZ): „Mit hohem Tempo und trockener Ironie [erzählt die Autorin] die autobiografische Geschichte einer Emigration. 1977 ist Rabinowich mit ihrer Familie nach Wien ausgewandert. In der Fremde, die ihr schon bald nahe ist, entwickelt die Ich-Erzählerin ein Sensorium für die Feinheiten des Lebens – des neuen wie des alten. Die jüdische Verwandtschaft der kommunistischen Kinderjahre wird in atmosphärisch dichten Episoden geschildert, der Wiener Gegenwart gilt eine selbstbewusste Distanz. Spaltkopfist ein Entwicklungsroman von großer Anschaulichkeit, dessen souveräne und freche Sprache Beweis dafür ist, dass Julya Rabinowich nicht nur in einer neuen Heimat angekommen ist, sondern auch in der Literatur.“

Der Roman wurde 2011 im Deuticke Verlag neu aufgelegt. Im selben Jahr erschien Rabinowichs Herznovelle, ein Text über die Sehnsucht nach einem Leben vor dem Tod. Nach einer Herzoperation findet die Protagonistin nicht mehr in ihr früheres Leben zurück. Es wäre alles in Ordnung, wenn da nicht ihre Träume wären, in denen sie mehr lebt als in ihrem realen Leben. Sie täuscht einen Notfall vor und kommt wieder ins Krankenhaus, wo sie sich auf die Suche nach dem Herzchirurgen macht, der ihr das Leben gerettet hat. Er wird, er muss sie verstehen, hat er doch „ihr Herz berührt“.

Julya Rabinowich, geboren 1970 in St. Petersburg, lebt seit 1977 in Wien, wo sie auch studierte. Sie arbeitet als Autorin, Malerin und Simultandolmetscherin. www.julya-rabinowich.com

Alfredo Bauer

Ort: Literaturhaus

Moderation: Werner Hörtner

Alfredo Bauer: Die Vorgänger
Lesung aus dem Werk Alfredo Bauers: Felix Mitterer

Bauers fünfteiliger Zyklus Die Vorgänger stellt eines der Hauptwerke der österreichischen Exilliteratur dar, eine Abrechnung mit der Geschichte von 1848 bis 1938, mit den Siegen und Niederlagen im Kampf um jüdische Emanzipation, Demokratie und soziale Gerechtigkeit in Österreich. Auf Spanisch erschien er bereits in den 1980er Jahren unter dem Titel Los compañeros antepasados, nun liegt er erstmals vollständig in deutscher Übersetzung vor. Bauer verwebt Zeitgeschichte und Fiktion, Familien- und Weltgeschichte, trügerischen Glanz und werktätiges Streben im Leben seiner Figuren. Und den Bewohnern des Landes, aus dem er flüchten musste, ruft er mit seinem Werk zu: „Hier ist die Rose, hier tanze!“

In Zusammenarbeit mit dem Brenner-Archiv und der Theodor-Kramer-Gesellschaft

Galizien – Erinnerungen an eine untergegangene Kulturlandschaft

Ort: Literaturhaus

Moderation: Michael Klein

Der Vortrag will an das 1918 untergegangene ehemals größte Kronland der Habsburgermonarchie, das heute schon beinahe sagenhaft anmutende „Königreich Galizien und Lodomerien“ erinnern und versucht die Faszination zu erklären, die, zunehmend bis heute, von dieser östlichsten Provinz des damaligen Reiches ausgeht: Galizien, eine in höchstem Maße widersprüchliche Landschaft, einerseits geprägt von extremen sozialen Gegensätzen und von bitterster Armut und zugleich ausgezeichnet durch eine ungemein reiche, überwiegend jüdische Kultur, deren vielfältige Einflüsse bis in die Gegenwart noch spürbar sind.

Exemplarisch vorgestellt werden die beiden polnisch-jüdischen Romane: Józef Wittlin, Das Salz der Erde und Julian Stryjkowski, Austeria

Michael Klein, geboren 1939 in Essen. Bis 2004 Professor für Germanistik und Leiter des Innsbrucker Zeitungsarchivs an der hiesigen Universität.

Eine Kooperation mit dem Brenner-Forum

Seien Sie gemein, dann sind Sie wahr oder Was macht zeitgenössische Literatur zum Skandal?

Ort: Literaturhaus

Moderation: Doris Eibl

Es diskutieren Stefan Gmünder, Literaturredakteur bei DER STANDARD, und Julia Pröll, Universitätsassistentin am Institut für Romanistik an der Universität Innsbruck.  

Ein Buch soll „beißen und stechen“, es soll uns „mit einem Faustschlag auf den Schädel“ wecken – dieser Ansicht war schon Franz Kafka. Stehen „SkandalautorInnen“ wie der Franzose Michel Houellebecq in dieser Traditionslinie? Oder geht es vielmehr darum, sich des Skandals als effiziente Marketingstrategie, der (Selbst)inszenierung als Mittel zur Absatzsteigerung zu bedienen?

Ausgehend vom „Phänomen“ Michel Houellebecq, der mittlerweile zum Goncourt-Preisträger und umjubelten Star geworden ist, möchte sich das Montagsfrühstück der Skandalträchtigkeit der zeitgenössischen Literatur widmen. Thematisiert werden neben Michel Houellebecq auch Catherine Millet und Christian Kracht. Gefragt werden soll beispielsweise nach den Mechanismen, die einen Text zum Skandal machen: Sind es seine Themen, ist es ein kruder Realismus, der sich an der Grenze zur Geschmacklosigkeit bewegt und ästhetische Normsetzungen verletzt? Ist es die Selbstinszenierung der Autorinnen und Autoren, die die Grenzen zwischen Öffentlichkeit und Privatheit verwischt? Oder ist die schonungslose, ungeschminkte Beschreibung des gesellschaftlichen Status quo, der sich Autoren wie Michel Houellebecq verschrieben haben, ohnehin nur als „Skandal“ denkbar?