Veranstaltungen 2011

Zurück zur Natur – nur, zu welcher?

Ort: Literaturhaus

Moderation: Martin Sexl

Das komplexe Wechselverhältnis von Natur und Kultur/Zivilisation soll in diesem Montagsfrühstück zur Diskussion gestellt werden.
Es diskutieren der Schriftsteller und Musiker Hans Platzgumer und Josef Nussbaumer.


Oft sprechen wir wenn es um Armut, atomare Unfälle, Klimawandel oder andere schreckliche Konsequenzen menschlichen Handelns geht von „Unglück“ oder „Katastrophen“, als ob solche Ereignisse „ganz natürlich“ über den Menschen hereinbrechen würden und nicht von diesem gemacht wären. Natur kann so gesehen in der gesellschafts-politischen und medialen Rhetorik als Argument dienen, um menschliches Handeln zu entschuldigen. Parallel dazu scheint es ein sehr starkes menschliches Bedürfnis und eine Sehnsucht nach einer „natürlichen Natur“ zu geben, die einen Rückzugsort bildet, der frei ist von zivilisatorischen Überformungen und technologischen Eingriffen, welche die Erde ja zunehmends an den Rande eines Kollapses zu führen scheinen. Diese „natürliche Natur“ ist jedoch vielleicht nicht mehr als unberührte Wildnis denkbar, die es schon lange nicht mehr gibt, sondern als in irgendeiner Form deformierte Natur. Exemplarisch wird das dort deutlich, wo vom Menschen gemachte Katastrophen zu einem zivilisatorischen Versagen geführt haben und die Natur zu wuchern beginnt, wie in der Sperrzone rund um Tschernobyl oder in den von Wirbelstürmen heimgesuchten Tropen.

Hans Platzgumer

Ort: Literaturhaus

Juni 2011, die Geisterstadt Pripjat in der Ukraine. 1986 ist hier ein Reaktor explodiert und hat über 4000 Quadratkilometer in ein totes Gebiet verwandelt. Es gibt verseuchten Wald, verstrahlte Gebäude. Und einige Menschen. Phillipe und Soraya suchen Gott, Henry sucht wilde Tiere, Oleg, Gennadi und Artjom sind nur zum Vergnügen hier, Alexander und Igor haben nichts mehr zu verlieren. Ihre Wege kreuzen sich und jedes Leben nimmt plötzlich einen ganz anderen Verlauf. Keiner geht aus der Zone, wie er gekommen ist.

„Hans Platzgumers Roman ist in erster Linie eine dicht komponierte, stilistisch vielschichtige Prosa, voller Bitterkeit und Düsternis angesichts der Besessenheit des Menschen von technischem Fortschritt, und voller Skepsis gegenüber der vermeintlich allmächtigen Wissenschaft.“ (Literaturhaus Wien)

Hans Platzgumer: Elefantenfuß. Roman. Limbus 2011

Margit Schreiner

Ort: Literaturhaus

Die Tiere von Paris ist das ironische Selbstgespräch einer Alleinerziehenden, die sich und dem Leser das Dreiecksverhältnis zwischen sich selbst, ihrem Kind und ihrem Exmann schonungslos vor Augen führt. Die Erzählerin, die sich als Wissenschaftlerin und Sachbuchautorin mit Stadtgeographie, Landschaftsräumen und dem Verirren beschäftigt, bemüht sich nach der Trennung, ihren Alltag mit dem heranwachsenden Kind zu gestalten und ohne Selbstmitleid zu bewältigen. Doch die mit einem hoffnungsvollen Rückblick beginnende Geschichte gerät in einem unwiderstehlichen Sog zur Katastrophe einer Scheidungsfamilie. Zwischen den Eltern hin- und hergerissen, muss die Tochter ihren eigenen Weg finden. Der Roman spielt in Paris, Tokio, Wien und Italien und entfaltet ein weites Panorama unterschiedlicher Lebensentwürfe. Ein raffiniert schlichtes Buch über aktuelle Fragen zur Vereinbarkeit von Kind und Beruf und die Rollen von Männern und Frauen.

Margit Schreiner: Die Tiere von Paris. Roman. Schöffling & Co 2011

Jakob Kraner und Robert Schindel

Ort: Literaturhaus

Gespräch über das Studium der Sprachkunst und dessen Position im Literaturbetrieb

Seit 2009 bietet die Universität für angewandte Kunst Wien mit dem Studiengang Sprachkunst erstmals ein künstlerisches Bakkalaureat-Studium in der Sparte Literatur an. Das Studium umfasst Textvermittlung und Textproduktion, von der Entstehung neuer literarischer Texte über den Entwurf bis zur Niederschrift sowie die Überarbeitung und Übersetzung in allen Textgattungen und in gattungsübergreifenden Arten (http://dieangewandte.at).

Robert Schindel, Institutsvorstand des Instituts für Sprachkunst, spricht mit Jakob Kraner, Absolvent im dritten Jahr des Instituts, über das Studium und darüber, welche Möglichkeiten einem jungen Autor/einer jungen Autorin geboten werden können. Anschließend lesen die Autoren aus ihren Texten.

In Zusammenhang mit der Tagung „Ach, wie wir das Unbekannte schätzen. Rainer Maria Rilke und Erika Mitterer“, veranstaltet vom Brenner-Forum, dem Institut für Germanistik und der Erika Mitterer Gesellschaft (siehe Tipp auf der Rückseite dieses Heftes).

Johannes E. Trojer

Ort: Literaturhaus

Vorgestellt von den Herausgeberinnen Ingrid Fürhapter, Sandra Unterweger, Erika Wimmer.
Lesung und Performance: Johanna und Oswald Kollreider

In Zusammenarbeit mit dem Brenner-Forum

Die beeindruckende vierbändige Werkedition stellt den Osttiroler Autor als Feldforscher, Publizisten und Literaten in den Fokus:

Band 1 umfasst Trojers literarisches und journalistisches Schaffen, darunter auch seine Lyrik, die in Hinblick auf den Zeitkontext große Aussagekraft birgt. Band 2 enthält seine zeithistorischen Arbeiten wie zum Beispiel die berühmte Studie Hitlerzeit im Villgratental über den dort geleisteten Widerstand gegen das NS-Regime. Band 3 bietet u. a. eine repräsentative Auswahl von Beiträgen aus der von ihm herausgegebenen Kulturzeitschrift Turntaler, während Band 4 als Begleitband Trojers innovative methodische Denk- und Arbeitsweise dokumentiert.

Am Abend sprechen die Herausgeberinnen über vier Jahre Nachlass-Forschung im Spannungsfeld zwischen Volkskunde und literarischem Experiment sowie über die Arbeit des Osttiroler Autors. Johanna und Oswald Kollreider interpretieren Texte Trojers aus den einzelnen Bänden.

Ingrid Fürhapter, Martin Kofler, Sandra Unterweger, Erika Wimmer (Hrsg.): Johannes E. Trojer (1935–1991). 4 Bände im Schuber. Haymon 2011

 

Linda Stift und Lydia Mischkulnig

Ort: Literaturhaus

Spannend wie einen Thriller und mit psychologischer Tiefe entfaltet Lydia Mischkulnig in ihrem Roman Schwestern der Angst die dramatische Geschichte einer fatalen, grenzenlosen Liebe, die in Hass umkippt.
Als Kinder sind Marie und Renate unzertrennlich. In einer Familie, die geprägt ist von Verlust und Misstrauen, schafft Renate für ihre Schwester eine eigene Welt aus der Sehnsucht nach Unversehrtheit und Glück. Doch dann, Jahre später, spaltet Paul ihre vermeintliche Einheit und entscheidet sich für Marie. Der Graben zwischen den beiden Frauen wird tiefer, Renates Blick auf die Welt verzerrt sich gefährlich. Sie heftet sich dem Paar an die Fersen, verfolgt ihre Schwester, überwacht sie zuerst aus der Distanz, rückt dann aber unaufhaltsam näher – bis zur letzten Konsequenz.

Linda Stifts Roman Kein einziger Tag handelt von dem obsessiven Wunsch nach Nähe und liest sich packend wie ein Thriller. Paul ist alles andere als erfreut, als sein anhänglicher Zwillingsbruder Paco, ein mittelmäßiger Serien-Schauspieler, zu Dreharbeiten in der Stadt auftaucht. Paco hatte ihre Trennung – sie waren als siamesische Zwillinge auf die Welt gekommen – nie akzeptiert; Paul musste mehrfach den Wohnort wechseln, um die notwendige Distanz herzustellen. Nun bricht Paco gewaltsam wieder in Pauls Leben ein. Jenny, Pauls Freundin, ist begeistert von Paco und seinen Kochkünsten. Während Paul zunehmend panisch wird, schafft es Paco in eine Fernsehshow, bei der der Gewinner eine Gratis-Schönheitsoperation bekommt. Doch auch Paul hat seine dunkle Seite …

Lydia Mischkulnig: Schwestern der Angst. Roman. Haymon 2010

Linda Stift: Kein einziger Tag. Roman. Deuticke 2011

Geld: Tauschmittel, Ware, Machrsymbol?

Ort: Literaturhaus

Moderation: Martin Sexl

Silke Meyer und Peter Rosei im Gespräch

Wie reden wir über Geld? Was verbinden die Menschen emotional mit Geld? Und was ist Geld überhaupt? Eine soziale Praxis? Ein alltägliches Medium? Ein Fetisch? Eine Ware? Ein vernünftiges Instrument des Tausches? Gerade in Zeiten eines – wie es scheint – enthemmten Finanzkapitalismus sind solche und ähnliche Fragen hochinteressant. Das Montagsfrühstück wird zwar nicht das Entstehen von Finanzkrisen erklären können, allerdings kann es Raum geben, um über die Semantik des Geldes zu diskutieren und die Trennung von Ökonomie und Kultur in unserer Gesellschaft zu hinterfragen.

An diesem Montagsfrühstück treffen sich der historisch-ethnographische Blick der Innsbrucker Ethnologin Silke Meyer mit dem literarisch analytischen des Schriftstellers Peter Rosei, der mit seinem Roman Geld! ein lakonisch packendes Buch, ein scharfsinnigböses Puzzle mit komödiantischen Zügen geschrieben hat und seinen Blick auf die Gegenwart unserer Gesellschaft wirft, die bis in die Lebenswürfe des einzelnen hinein in den Fängen des Kapitalismus verstrickt ist. So heißt es denn auch in Anspielung auf Schnitzlers Meisterwerk: „Der Kapitalismus ist ein weites Land.“

Eine Kooperation zwischen Literaturhaus am Inn, Denkpanzer und der Abteilung für Vergleichende Literaturwissenschaft d. Universität Innsbruck

Peter Rosei

Ort: Literaturhaus

Das Leben ist nur eine Chance, und Georg Asamer hat sie genützt: Er hat es zum Eigner einer höchst erfolgreichen Werbeagentur gebracht. Als er mit seinem Protegé Andy Sykora einen Nachfolger installiert, muss er erkennen, dass er alt geworden ist – die Geschäftsstrategien haben sich geändert … Peter Rosei führt uns in die Brennkammer jener Welt, wo auf Umwegen und doch fast gesetzesmäßig jenes Klima entsteht, in dem sich zerstörerische Wünsche mit himmelstürmenden Hoffnungen paaren.

In Geld! treffen „eine zum Knochengerüst reduzierte Handlung und eine pointillistische Schilderung der Figuren aufeinander. Der eigentliche Coup aber, den das Buch landet, besteht darin, dass es das gewählte Thema an den Horizont verschiebt. Keine Wirtschafts-Apokalypse treffen wir hier an, sondern einen Erklärungsversuch ihrer Vorbedingungen.“ (Klaus Kastberger)

Peter Rosei: Geld! Roman. Residenz 2011

 

Monique Schwitter und Simona Ryser

Ort: Literaturhaus

Moderation: Robert Renk

Simona Rysers Roman Helenenplatz ist ein modernes Märchen im Zeitalter der Onlineportale, auf denen einsame Singles auf der virtuellen Suche nach dem einzig wahren Date sind. Hanna, Treuhänderin im Burnout, sitzt wie gelähmt vor ihrem Computer, flüchtet in die Stadt, klaut in Warenhäusern, versucht Männer kennenzulernen. Ihre Sekretärin Sabine übernimmt mehr und mehr die Dossiers, jubelt ihr Dates unter und träumt selbst von der Liebe. Georg, Gamedesigner im Timeout, rennt durch die Stadt und geistert durch die Kontaktinserate auf den Bildschirmen von Hanna und Sabine am Helenenplatz.

Drei moderne Stadtmenschen treffen und verpassen sich, gelenkt von der Stadt, ihren Straßen, Warenhäusern, Bürotürmen und Bildschirmen. Gelenkt von ihren Träumen einer Liebe, die länger hält als ein paar Nächte. Wunderbar musikalisch erzählt Simona Ryser von der Stadt, von der Arbeit und der Liebe.

Monique Schwitters Erzählungen sind unverwechselbar. In Goldfischgedächtnis führt sie scharfsichtig und mit großem Gespür für dramatisches Timing ihre Figuren in Konfrontationen und Konflikte, die sehr schnell eine existenzielle Zuspitzung erhalten. Alles ist Handlung in diesen Geschichten (nicht zu verwechseln mit action!), ihre Personen sind nach wenigen Zeilen plastisch und lebendig, ihre Sätze sind elementar und schnörkellos. Es geht ja auch um etwas: In fast allen Geschichten blicken wir in die Schrecken von Beziehungen und Begegnungen, und fast immer ist auch von Abwesenheit und Verlust, von Sterben und Tod die Rede. Monique Schwittters Erzählungen gehen auf unerhört spannende Weise den Geheimnissen unserer Erinnerung nach, der Spannung zwischen Vergessen und Erinnern – wozu haben wir schließlich ein längeres Gedächtnis als Goldfische?

Simona Ryser: Helenenplatz. Roman. Limmat 2011

Monique Schwitter: Goldfischgedächtnis. Erzählungen. Droschl 2011

Haikus von Christian Loidl

Ort: Literaturhaus

Moderation: Eva Lavric

von jetzt bis jetzt.

Aus dem Deutschen ins Italienische und Französische übersetzt von Studierenden der Institute für Romanistik und für
Translationswissenschaft der Universität Innsbruck
Begrüßung: VR Tilmann Märk
Musik: Leo Scola (Gitarre)

„Haikus machen ein Fenster auf in unserer Wahrnehmung, unsere Klischees und Erwartungen werden durchbrochen. (…) Aus dem Unerwarteten, Charakteristischen, Absurden kann Humor entstehen – ein feiner Humor, voll Leichtigkeit. Manche Haikus haben eine Pointe, andere nicht – aber alle machen sie etwas auf, unterbrechen den stereotypen Fluss der Gedanken, die vorgefertigten Interpretationsmuster dessen, was wir sehen, hören und denken. (...) Haikus sind ein Geisteszustand und feiern diesen, tanzen mit diesem und mit der Wirklichkeit: das frische Wahrnehmen, der Anfänger-Geist, das Zerreißen der Konditionierungen.“ (aus dem Vorwort von Eva Lavric)
Der Gedichtband nachtanhaltspunkte. haiku notate von Christian Loidl diente als Vorlage für ein Übersetzungsprojekt, das 2009–2011 an der Universität Innsbruck durchgeführt wurde. Im anschließenden Schreibprojekt versuchten die Studierenden selbst, Haikus in der Fremdsprache zu verfassen. Nun sind die übersetzten und die neu verfassten Haikus in einem Band zusammengefasst und von Eva Lavric, Muryel Derlon und Carla Leidlmair-Festi bei innsbruck university press herausgegeben worden.

Christian Loidl, geboren 1957 in Linz, lebte ab 1975 in Wien, wo er 2001 starb. Studium der Germanistik, Dr. phil. 1984. Ab 1985 freier Schriftsteller, Mitglied der GAV und des Podium. Arbeitsschwerpunkte Lyrik und Performance, daneben Essay, Kurzprosa, Hörspiel, Feature, Übersetzungen. Mitbegründer der Schule für Dichtung in Wien.

Muryel Derlon, Eva Lavric, Carla Leidlmaier-Festi (Hg.): von jetzt bis jetzt. Haikus von Christian Loidl. innsbruck university press 2011